Der Stadtteil in dem ich lebe ist bei Weitem nicht der schönste. Niemand kommt nach Lichtenberg, um einen unvergesslichen Tag im Park zu erleben, um fein essen zu gehen oder die örtliche Baukunst zu bestaunen. Eher verlässt man Lichtenberg, um zur Abwechslung etwas Angenehmes zu erblicken. Doch wenn man nun mal hier lebt, und das ist bei mir der Fall, dann kommt man nicht drum herum über vergiftete Ratten auf dem Gehweg zu stolpern, auf einer Bank zu rasten, welche liebevoll mit Zigarettenstummeln und Kronkorken bestückt wurde, im Wind wehende Tüten in den Bäumen zu erspähen und was weiß ich noch alles… Ich bin ehrlich: Seit ich hier wohne wird es nicht besser. Erst kürzlich war ich einige Tage nicht daheim, kehrte zurück und fühlte mich, als müsste ich die Apokalypse überleben. Entweder war es mir all die Zeit nicht so arg aufgefallen oder aber es wurde binnen weniger Tage um ein Vielfaches schlimmer. Keinen Meter kommt man voran, ohne dass Müll um einen herum aufschreit und emsig entgegen winkt. Würde ich jenen einsammeln, so wäre ich Monate beschäftigt - und glaubt mir, ich bin mit der Zeitangabe bereits optimistisch. Es gibt ausreichend Mülleimer, teils sogar mit einer extra Mülltüte bestückt. Es existieren Menschen, die diese nutzen. Und doch laufe ich tagtäglich durch die Gegend und könnte schreien vor Frust. Neulich erst warf eine ältere Frau ihre Kippe auf eine Wiese, woraufhin ihr kleiner weißer Hund daran schnupperte. Sie lächelte nur und meinte zu ihrem Wuschel “Ach, das ist nichts für dich.” Ich stand ihr gegenüber und war absolut sprachlos. Vorhin traten Jugendliche zur Freude Glasflaschen auf einer Grünfläche kaputt und ich frage mich was sie dazu bewegt? Nun klinge ich wie eine verbitterte Großmutter, nicht wahr? Ich fühle mich ehrlich gesagt auch ein wenig so.

Es ist leicht zu sagen ‘Ich war nie so’, doch ich muss gestehen, so war ich tatsächlich nie. Mir liegt die Natur – oder das Wenige, was davon übrig ist – sehr am Herzen und ich erfreue mich daran, wenn ich dort kaum Spuren menschlicher Existenz finde. Also nehme ich mit, was ich verursache und packe obendrein immer noch etwas ein, was ohnehin dort herumliegt. Aber warum denn packe ich die Abfälle anderer ein und nicht die, die sie verursacht haben? Ich will hier nicht verheimlichen, dass auch Krähen Mülleimer leeren und Füchse den ein oder anderen Leckerbissen aus einer offenen Mülltonne stibitzen und zu ihrer Wiese schleppen. Und natürlich weht hin und wieder auch etwas Müll von einem Recyclinghof oder einer Baustelle. In dem Sinne lastet die alleinige Schuld gewiss nicht auf uns als Individuen. Doch tragen die Menschen einer Region sicher erheblich dazu bei, wie diese sich entwickelt. Ist es denn nicht das Ziel dieser Menschen in einem schönen Umfeld zu leben und sich dort wohl zu fühlen? Warum scheint es den Bewohnern Lichtenbergs so vollkommen gleich zu sein? Oder fühlen sie sich in diesem verdreckten Teil Berlins sogar wohl? Ich wüsste es gerne. Vielleicht könnte ich dann besser verstehen, warum es hier so aussieht, wie es aussieht.

Nun gut, genug geärgert! Mit meiner kleinen Bildstrecke möchte ich auf dieses Ärgernis meinerseits aufmerksam machen. Ich möchte aber auch die Diskrepanz zwischen vermeintlich ästhetisch und offenbar nutzlos, zwischen dem von mir erblickten Detail und der scheinbaren Realität, aufdecken. Was liegt in meinem Bezirk herum, verrottet langsam oder verwittert, weil niemand mehr einen Wert darin erkennt? Was wurde von Menschen vergessen oder entsorgt und seither unbeachtet liegen gelassen? Und warum auf alles in der Welt bleibt es dort liegen? Wie kann es sein, dass wir Menschen derart unbedacht mit diversen Ressourcen und unserer Umwelt umgehen?
Alle Bilder wurden unter freiem Himmel aufgenommen, zumeist nahe an kleinen Parks oder Wiesen.

Bevor ich nun aber etliche Fragen formuliere, welche vermutlich unbeantwortet bleiben, lass ich noch etwas Raum für weitere Gedankengänge. Und wer weiß? Vielleicht hat ja das ein oder andere Hirn eine nützliche Anregung für mein Dilemma.

09. April 2021
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